9. November 2007

Das Gewitter

Der Himmel war erfüllt von den Lichtern, die von dem Gewitter herrührten. Überall war Donnergrollen zu hören. Eine merkwürdige Stimmung lag in der Luft.
Ich rannte die Straßen entlang, drehte meinen Kopf ängstlich zurück, um zu sehen ob diese Hand, die ich in meinem Nacken spürte bloß Teil meiner grausamen Phantasie war. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst. Die Häuser kamen mir allesamt nicht bekannt vor. Wie lange ich schon lief wusste ich nicht. Der Himmel leuchtet wieder auf, ich sah nach oben und kurz darauf ertönte ein ohrenbetäubendes Grollen. Noch nie hatte ich so ein Gewitter erlebt. Ich wich knapp einer kaputten Laterne aus und rannte weiter die Straße entlang und dachte dabei an das was geschehen war. Ein weiterer Blitz ließ den Nachthimmel aufleuchten. Vor mir lag der Leopoldplatz, das wusste ich, weil ich vor Monaten hier auf die Nachtlinie gewartet hatte. Ein Mann hatte mich angesprochen und ich hatte nicht gewusste, was ich von ihm halten sollte. Hier war niemand zu sehen. Es brannten keine Lichter in den Restaurants am Rand des Platzes, er lag da wie ausgestorben. Hier war niemand der mir helfen konnte.
Ich lief weiter, immer noch erfüllt von Scham und Furcht, die mich nicht loszulassen schienen. Im Schatten einer Straßenlaterne sah ich Umrisse, die, je näher ich kam, deutlich menschliche Formen annahm. Es war ein Mann, der einzige Mensch, der um diese Zeit noch nicht zu Hause war. Ich wollte meine Schritte verlangsamen um ihn nicht zu verschrecken, aber meine Beine gehorchten nicht, ich lief direkt auf ihn zu. Er rührte sich nicht. Als uns nur noch wenige Schritte trennten, begann ich zu schreien, wie ich noch nie in meinem Leben geschrieen habe. Er stürzte auf mich zu und ich brach ihn seinen Armen zusammen.

Als ich die Augen aufschlug fand ich mich in einem durchdringend weißen Raum wieder. Die Wände waren kahl und an der Decke hing eine Glühbirne in ihrer Fassung. Es gab ein kleines Fenster, rechts von mir, das, wie ich erkannte, vergittert war. Ich drehte meinen Kopf in die andere Richtung, wo ich eine Tür vermutete. Sie war weiß, genauso wie die Wände, und unscheinbar. Ich spürte ein merkwürdiges Kribbeln auf meiner Stirn und wollte meine Hand heben um zu sehen, was es sein könnte, doch ich konnte sie nicht bewegen. Die andere auch nicht. Ich war an das Bett festgebunden. Noch immer wusste ich nicht wo ich war. Angst durchflutete meinen Körper als ich feststellte, dass auch meine Beine nicht zu bewegen waren. Mein Atem wurde schneller, ich musste hier raus, doch ich wusste nicht wie. Verzweifelt drehte ich mich wieder nach links, doch da war nichts. Mein Atem wurde immer schneller, die Gedanken kreisten und verloren sich sogleich wieder. Die Tür öffnete sich und ein Mann trat ein. Er zog den Besucherstuhl zum Bett und setzte sich. Ich starrte ihn an, mein Atem hatte sich noch immer nicht beruhigt.
„Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Wissen Sie, was gestern Abend passiert ist?“ Ich nickte und starrte ihn weiter an.
„Mein Name ist Doktor Hellmssund und ich bin der Leiter der Jugendstation dieser Klinik.“
Er machte eine Pause bevor er weiter sprach.
„Sie befinden sich in einer Psychiatrischen Klinik.“
Er machte erneut eine Pause.
„Sie sind gestern Abend zusammengebrochen. Der Bluttest ergab, dass sie keinen Alkohol im Blut hatten, also war der Polizei völlig unklar was Ihr verstörtes Verhalten ausgelöst hatte. Also wurden Sie hierher gebracht.“
Ich gab ein leises Stöhnen von mir, dann schloss ich kurz die Augen. Die Bilder waren wieder da. Ich sah mich vor meiner Flucht.
„Bisher sind Sie namenlos, da Sie keinen Ausweis bei sich hatten. Es gab auch keine Vermisstenanzeige…“
„Ich weiß wer ich bin!“, unterbrach ich ihn.
„Könnten Sie mir bitte Ihren vollständigen Namen sagen?“
„Henrietta, Henrietta Merl.“
Ich war wie gelähmt als die Tür aufging und ein weiterer Mann eintrat. Es war der Mann von gestern Abend, der, dem ich in die Arme gefallen war.
„Nun, Frau Merl. Herr Köpper wollte warten bis Sie aufwachen.“
„Das ist…“ Meine Stimme brach. Ich konnte den Satz nicht beenden. Jetzt, wo es hell war, konnte ich erkennen wer es war, den ich gestern Nacht als meinen Retter betrachtet hatte. Es war der Mann, vor dem ich geflohen war. Angst machte sich breit. Der Doktor im Kittel schien dies nicht zu merken, er drehte sich um und ging.
„Bitte bleiben Sie hier, Doktor. Wäre es möglich wenn ich Herrn Kö-pper erst später sprechen könnte?“
„Natürlich, wenn Sie sich nicht besonders fühlen.“ Er wandte sich an den vermeintlichen Herrn Köpper und bedeutete ihm zu gehen. Er setzte ein gespieltes väterliches Lächeln auf, öffnete die Tür und verließ den Raum. Der Doktor wandte sich ebenfalls wieder zum Gehen.
„Bitte Herr Doktor, bleiben Sie hier.“ Er drehte sich zu mir um und sah mich fragend an.
„Haben Sie mir etwas zu erzählen?“ Ich sah ihn an und antwortete: „Ja!“

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